Der Genuss führte die Bürger von Darmstadt nach Roßdorf

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Die Geschichte um die Geschichte des Kotelett-Pfades

Reproduktion eines Bildes vom Innenhof des „Darmstädter Hofes“ um 1908, in dem sich die Gäste von Friedrich-Wilhelm Krämer und seinem Team mit Kotelett und Fleischwurst verwöhnen ließen. Repro: Martina Emmerich

DARMSTADT/ROSSDORF. Weithin ist mittlerweile der Kotelettpfad bekannt, der von Darmstadt nach Roßdorf führt. Dieser wurde unter anderem in der Juni-Ausgabe der Kartoffelsupp vorgestellt. Wie Leserrückmeldungen zeigten, gibt es sogar noch eine Geschichte hinter der eigentlichen Geschichte des historisch-kulinarischen Weges, dessen Nutzung bis in die Anfänge des 19. Jahrhundert zurückreicht.Die Bürger der ehemaligen Residenzstadt machten sich nicht nur am Wochenende, sondern auch während der Woche gerne zu Fuß auf den Weg zum Kotelettessen ins benachbarte Roßdorf. Ziel war allerdings zu Beginn noch nicht das Gasthaus „Zur Sonne“ – wie in der Juni-Ausgabe berichtet –, sondern vielmehr das Gasthaus „Darmstädter Hof“ mit angeschlossener Metzgerei“, weiß der Roßdörfer Historiker Klaus Schollenberger. 

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Ingeborg Krämer (im Stuhl) sowie ihre Töchter Juliane und Andrea samt Historiker Klaus Schollenberger (v.l.n.r. stehend) berichteten von vergangenen Zeiten im „Darmstädter Hof“, der das erste Ziel der Genuss-Wanderer des Kotelettpfades war. Foto: Martina Emmerich

Der Metzger Johannes Wilhelm Krämer (1868–1957) und seine Frau Elisabeth (1877–1948) betrieben in Roßdorf seit 1890 eine Kalbs- und Schweinemetzgerei. 1902 erhielten sie die Erlaubnis, eine Gastwirtschaft mit Ausschank von Branntwein zu führen. Regionale Berühmtheit erlangte der „Darmstädter Hof“ der Familie Krämer aber vor allem wegen seiner leckeren Koteletts, die „natur“ und mit Brot in der Gaststube sowie im Hof des Betriebes serviert wurden. Darüber hinaus waren sowohl Metzgerei als auch Gaststätte in den 1920er Jahren für ihre gute Fleischwurst bekannt.

Im Juli 1928 übernahmen Sohn Friedrich Wilhelm (1899–1982), ebenfalls Metzger und Gastwirt, und seine Frau Luise (1900–1967) den Gastronomiebetrieb mit Saal und die Metzgerei.

„Luise war eine geborene Schmucker aus Ober-Mossau und stammte aus der bekannten Schmucker-Brauerei“, erzählt die 88-jährige Ingeborg Krämer, die zusammen mit ihrem Mann Friedrich Krämer, kurz Fritz genannt, bis 1990 noch die Metzgerei betrieben hatte. Zu Zeiten von Friedrich Wilhelm und Luise Krämer erlebte der „Darmstädter Hof“ seine Hochphase.

Es kamen immer mehr Gäste zu Fuß, mit dem Bus oder auch mit dem Zug und kehrten in den „Darmstädter Hof“ ein. Im Anschluss nahmen sie oft noch Wurstwaren mit nach Hause. „Häufig musste der Busfahrer aus Darmstadt so lange mit der Weiterfahrt warten, bis alle seine Fahrgäste ihre Einkäufe getätigt hatten“, schmunzelt Klaus Schollenberger, Gründungsmitglied des Historischen Vereins Roßdorf und selbst aus einer Roßdörfer Metzgerei stammend.

Darüber hinaus waren der Saal und die Bühne des „Darmstädter Hofes“ Heimat für den Gesangsverein Concordia, der Ringer des KSV 04, des Rollschuhclubs und der Ballettgruppe von Conny May. Hier wurden zudem viele traditionsreiche Roßdörfer Veranstaltungen wie Kerb, Fastnacht und Schützenkönigsbälle gefeiert. „In der Ära meines Schwiegervaters und meines Mannes waren neben den Koteletts im „Darmstädter Hof“ auch die Grindköpp sehr gefragt, die aus Hackfleisch zubereitet und mit einer Zwiebelsoße serviert wurden“, weiß Ingeborg Krämer und verrät weiter: „Werk- sowie sonn- und feiertags blieben die großen Koteletts mit Kartoffelsalat der Renner, dicht gefolgt von armlangen, dicken Bratwürsten. Als Beilagen wurden dazu gerne Rotkraut, Salat oder Bratkartoffeln bestellt. Vorneweg gab es immer noch einen Teller Suppe.“

Stand an den Sonntagen etwas Besonderes wie beispielsweise Sauerbraten und Knödel auf der Karte, schickte Oberkellner Peter Sturm Ende der 1950er Jahre den Stammgästen aus Darmstadt eine Postkarte, die die Gäste dafür extra frankiert und mit ihrer Adresse versehen, dagelassen hatten. Unterstützt wurden Ingeborg und Fritz Krämer, die den „Darmstädter Hof“ samt Metzgerei 1957 übernahmen, im Service zudem von Fritz‘ Schwester Susanne, Susel genannt. Auch Schwester Anneliese half ab und zu am Wochenende aus, wenn die gelernte Hotelfachfrau bei ihrer Arbeit dienstfrei hatte. Die Beliebtheit des Betriebes und damit verbunden die Arbeitsbelastung waren aber so groß, dass sich die Familie Krämer entschied, zum 31. Dezember 1958 den Saal zu schließen. Drei Jahre später, am 31. Dezember 1961, gab sie auch die Gastwirtschaft „Darmstädter Hof“ auf und konzentrierte sich auf die Metzgerei.

Mit dem Ende des „Darmstädter Hofes“ vor mittlerweile 60 Jahren, nahm wiederum die Beliebtheit des Gasthauses „Zur Sonne“ weiter zu, das über einen Saal mit klassischen Jugendstilelementen verfügte und fortan das Ziel der Wanderer entlang des Kotelettpfades wurde. Die Tradition wurde zudem dadurch belebt, dass Werner Groß, Amtsrat und Geschäftsführer des Naturparks Bergstraße-Odenwald und zugleich Ehemann von Susanne Krämer, vor heute 45 Jahren den Kotelettpfad offiziell beschildern ließ.

Alfred Jakoubek, damaliger Bürgermeister von Roßdorf und späterer Landrat, kannte durch seinen Großvater die Geschichte des Kotelettpfades und beschloss diesen nach Rücksprache mit dem damaligen Darmstädter Oberbürgermeister, Günther Metzger, neu zu beleben. 1987 wurde die Bevölkerung erstmals zu einem Marsch vom Darmstädter Vivarium Szum Gasthaus „Zur Sonne“ in Roßdorf eingeladen. Daraus wurde ab 1993 dann die Direktvermarktungsaktion „Frisch und lecker im Landkreis der Genießer“, die regelmäßig zur Wanderung entlang des Kotelettpfades einlud, ebenfalls mit der „Sonne“ als Anlaufstelle. (memm)
 

Buchtipp

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Ein echtes Liebhaberbuch: die im Jahr 1938 von Fritz Kredel verfassten „Odenwälder Geschichten“, in denen er so mancher merkwürdigen Person aus seiner Jugend neues Leben einhaucht, indem er diese als skurrile Figur in kleine Episoden einbaut. 24 Anekdoten sind es, die der weltbekannte Illustrator, der auch das Präsidentensiegel von John F. Kennedy gestaltet und eine bekannte Struwwelpeter-Ausgabe koloriert hat, in dem zirka 40 Seiten zählenden Bändchen wiedergibt.

Die „Odenwälder Geschichten“ von Fritz Kredel sind im Nachdruck des es-Verlags für 14,80 Euro in den Buchhandlungen erhältlich oder können per E-Mail an kopierzentrum@t-online.de direkt über den es-Verlag bezogen werden. (mil/stü)

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