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Autoschau in Heppenheim: Grafikdesigner Gero Kastner mit vielen Ideen

Gero Kastner, Foto: Astrid Wagner

Im Gespräch mit Gero Kastner, dem kreativen Kopf der Autoschau

Eines steht fest: Man kann Gero Kastner stundenlang zuhören, ohne dass es einem langweilig wird. Viel hat der 1950 geborene Grafiker erlebt, ist nie den geraden Weg durchs Leben gegangenen, aber, wie er betont, sich stets treu geblieben. Auch im 73. Lebensjahr nach seiner Geburt sprüht er vor Ideen, ist als kreativer Kopf aus der Heppenheimer Wirtschaftsvereinigung nicht mehr wegzudenken. In der Kreisstadt kennt man ihn, vielleicht nicht persönlich, aber auf alle Fälle die Vielzahl der Logos und Ideen, mit denen er seit Jahrzehnten sichtbare Spuren hinterlässt. Wer aufmerksam durch die Innenstadt geht, kann an vielen Stellen ein Stückchen Kastner Design entdecken. Nicht zuletzt natürlich bei der Automobilschau, deren Logo er natürlich auch entworfen hat. „Automobilschau" ist das nicht ein etwas antiquierter Begriff? Keineswegs, dabei hat sich Kastner etwas gedacht. Je nach Entwicklung der Technologien, der Zukunft lässt sich dieser Begriff verändern, ohne dass sein Wiedererkennungswert Schaden erleidet - hin zur ,,Mobilschau" beispielsweise, bei der nicht mehr allein das Auto im Mittelpunkt des Interesses steht. Bereits 1986 ein weiser Blick nach vorn.

Wie war Kastners Weg zum Grafikdesign? Was ist er für ein Mensch? Auch nach über zwei Stunden Gespräch kann man das nur anreißen. Gleich zu Beginn der Unterhaltung freut er sich über den unerwarteten Sieg, seines" Karlsruher SC über den Aufstiegsaspiranten HSV am Wochenende und blickt zurück auf den KSC-Aufstieg in die erste Liga im Jahr 2004, als die gesamte Karlsruher Innenstadt ein blau-weißes Fahnenmeer gewesen war. Das war mein Impuls für ,,Ab in die Mitte" in Heppenheim." Jene vom Land Hessen ins Leben gerufene Image-Aktion für die Innenstädte, für die Kastner das gesamte Konzept entwarf, unter anderem die bekannten Shirts mit dem Aufdruck ,,Ich bin Heppenheimer". Über drei Jahre lief dieser Wettbewerb, zweimal gewann Heppenheim den Landesentscheid.

Aufgewachsen ist Kastner mit drei Geschwistern im Karlsruher Stadtteil Mühlburg, dem Geburtsort von Carl Benz und Freiherr von Draiss, als Sohn eines Archivars. Sein Vater, so erzählt der Grafiker und Künstler, habe einen Stammbaum der Familie erstellt, der bis ins Jahr 1490 zurückreiche. Die Erkenntnis: In der Familie gab es Künstler ebenso wie Scharfrichter, aber auch Pfarrer und Architekten. Der Vater wurde direkt von der Schule zum Militär eingezogen, kehrte erst nach zehn Jahren aus französischer Kriegsgefangenschaft zurück. Gebrochen hat ihn das nicht. ,,In Sachen Geschichte war mein Vater besser als Wikipedia", erzählt Kastner.

So richtig zu schätzen wusste der junge Gero das seinerzeit freilich nicht. Wie es damals bei vielen jungen Leuten Usus war, hat er sich aufgelehnt. Erst spät hat er begriffen, dass sein Vater "immer grundehrlich war, voller Respekt und Würde, für mich bis heute vorbildhaft!"

Sich selbst bezeichnet Kastner als „Trümmerkind", das auf Ruinengrundstücken gespielt hat, noch Hunger kannte. Er erinnert sich an die vielen Kriegsversehrten, an das Trauma seiner Mutter nach einem Tiefflieger-Angriff, das ein Leben lang währte. „Nie wieder Krieg", das war von frühester Jugend an sein Grundsatz.

Am humanistischen Bismarck-Gymnasium in Karlsruhe hab ich noch denken gelernt", blickt er zurück auf eine Schulzeit, die von vielen Brüchen geprägt war. Später war er auf dem Internat des Neckarauer Johann-Sebastian-Bach-Gymnasiums, eckte an, weil er sich nicht die Haare schneiden lassen wollte. Weiter ging die Schullaufbahn auf einem musischen Gymnasium in Darmstadt. Er verließ die Schule ohne Abitur, absolvierte in Karlsruhe eine Buchhändlerlehre: „Ich hab den ganzen Tag gelesen." Durch den Bruder kam er mit 21 Jahren nach Heppenheim; der begeisterte und begabte Leichtathlet Gero Kastner schloss sich dem TV Heppenheim an, seine Disziplinen waren die Lang- und die Mittelstrecken. Als der Pink-Floyd-Fan die Möglichkeit hatte, das Buch des großen Designers Luigi Colani zu lesen, war er fasziniert. Dessen Auffassung von Design imponiert ihm bis heute - und war schließlich einer der Auslöser dafür, dass er beschloss, Grafik-Designer zu werden.

"Genie-Paragraf" genutzt

Doch ohne Abi, nur mit Mittlerer Reife in der Tasche, war das zunächst gar nichts so einfach. Schließlich wurde er durch die Qualität seiner vorgelegten Mappe an der Frankfurter Kunstschule Westend aufgenommen. Über den sogenannten „Genie-Paragrafen" gelangte Kastner schließlich an die Mannheimer Fachhochschule für Gestaltung. "Dort habe ich begabte Leute kennengelernt", blickt er zurück. Hauptsächlich unter den Kommilitonen. Und er hat gelernt zu funktionieren und binnen kürzester Zeit Qualität abzuliefern. Wichtig ist ihm, jeden Tag so zu leben, dass er am Abend noch in den Spiegel schauen kann.

„Du bist kein Schultyp, man muss dich lassen", hat einer seiner Dozenten damals festgestellt. So sehr Kastner immer wieder an dem System Schule oder Hochschule zu scheitern drohte, so genial war und ist er als Designer und Künstler. Zum Glück gab es Menschen, die das erkannt haben.

Während des Studiums hat Kastner als DJ in der Lorscher Disco „Lord" aufgelegt, dort auch das Schaufenster gestaltet - "da fingen die Aufträge an". Nicht alles hat er angenommen, den seinerzeit lukrativsten Auftrag hat er abgelehnt, den für das AKW Biblis.,, Ich bin immer bei mir geblieben."

Mit der Zeit kamen die großen Firmen: John Deere, Sandvik; er machte sich mit seiner damaligen Partnerin in Heppenheim selbständig. 1986 lernte er Jürgen Maurer kennen und schätzen, den damaligen Vorsitzenden der Heppenheimer Wirtschaftsvereinigung, für die er seitdem alles designt.

Der erste Auftrag war das Logo für die Automobilschau. Nach und nach wurde er aktiv für die Heppenheimer Unternehmen und Geschäfte: Entwarf Logos etc. für Marmor Lulay, die Stadtapotheke, die Starkenburg Apotheke, die Buchhandlung May, für die Parfümerie Hillenbrand, Brand Optik, das Sehzentrum Ludwig, Hautnah und viele mehr. Die meisten gibt es auch heute noch, sie sind zeitlos. Für die Stadt Heppenheim designte er unter anderem das Logo für die Stadt selbst, den Musikpreis und den Open Air Sommer. Kastner dachte sich während der Corona-Zeit die Aktion mit den bunten Fahnen in der Innenstadt aus, sorgte so in sorgenvollen Zeiten für Lichtblicke,,,denn Farben sind Gefühl, Farben sind Leben." Er brachte die Idee für den Halloween-Sonntag nach Heppenheim.

Er designte die komplette Corporate Identity für die ,,Medizinische Woche", für die Gesellschaft für biologische Krebsabwehr, für Edeka Offenburg entwarf er eine Anzeigen- und Plakatserie, kreierte für Bauhaus deutschlandweit Anzeigen, gestaltete für Units der Mannheimer Werbeagentur Schaller und Partner - etwa für Bosch und Siemens. Und das alles mit einem kleinen Team von drei, vier Leuten. Auch für die Brauerei Werde war er für die gesamte Corporate Identity zuständig, für ihn einer der schönsten und Image trächtigsten Aufträge". Die Liste scheint endlos.

Auch mit über 70 arbeitet Kastner in seiner ,,Berghütte hinter den sieben Bergen" im Odenwald noch immer. ,,Ich bin kein Typ, der in Rente geht."

In seiner ersten Zeit in Heppenheim hat er ein Haus besetzt in der Werléstraße (1974), hat NPD-Plakate geklaut und vernichtet, an vielen Demos teilgenommen - gegen rechts, gegen Berufsverbote etc. Er hat den ersten Aufkleber gegen das Atomkraftwerk Biblis gestaltet. ,,Ich bin weder links noch rechts, sondern ein Mensch, der seinen Verstand benutzt", so schätzt er sich selbst ein. (rid)

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